Rede des Fraktionsvorsitzenden Borgwardt zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
es ist jetzt 31 Jahre her, als die CDU Sachsen-Anhalt die Landtagswahl 1990 gewonnen hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass die Lage damals nicht besonders erfreulich aussah. Das Land Sachsen-Anhalt hatte bereits mit der Demografie zu kämpfen, der ländliche Raum blutete aus, die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte war dramatisch. Unser Ministerpräsident, Dr. Reiner Haseloff, hat die damalige Situation bei der Festveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit in Halle, die ich übrigens an dieser Stelle sehr loben will, mit einer persönlichen Anekdote beschrieben. Als Arbeitsamtsdirektor in Wittenberg hat er hautnah miterlebt, wie große und ineffiziente Betriebe und Kraftwerke geschlossen werden mussten. Von einem zum anderen Tag verloren Menschen ihren Arbeitsplatz. Er hat eindrucksvollvoll geschildert, wie er „die Angst in den Augen der Betroffenen, die um ihre Zukunft bangten“, nie vergessen wird.
Mittlerweile sind die Städte und Landstriche oft nicht wiederzuerkennen. Der Harz sowie die Städte Magdeburg und Halle haben bis zur Corona-Pandemie Jahr für Jahr neue Touristenrekorde gebrochen. Unsere soziale Infrastruktur mit Schulen und Kindergärten ist teilweise moderner als in den westlichen Bundesländern. Verkehrstechnisch ist unser Land gut angeschlossen, Unternehmen investieren wieder, neue Firmen kommen in unser Bundesland, die Arbeitslosenquote konnte kontinuierlich verringert werden. Diese Entwicklung ist zu großen Teilen der CDU-Fraktion zu verdanken.
Daran haben sich offensichtlich auch die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts bei der Landtagswahl am 6. Juni 2021 erinnert. Sie haben uns damit gezeigt, dass es richtig und wichtig war in Streitfragen, wie beispielsweise bei der Entscheidung zum Rundfunkbeitrag, mit Sachargumenten zu überzeugen. Diese Meinung haben wir konsequent vorgetragen. Wir haben uns eben nicht von Berliner Parteizentralen treiben lassen. Wir haben auch nicht, wie andere, unsere Meinung geändert. Die Konsequenzen hat u.a. die Fraktion DIE LINKE bei der Landtagswahl erfahren müssen. Bemerkenswerterweise hat das auch der Landeschef Herr Gebhardt in der Mitteldeutschen Zeitung vom 2. Oktober 2021 selbstkritisch angemerkt.
Die Parteien CDU, SPD und FDP jedenfalls haben mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 13. September dieses Jahres die Grundlage für eine stabile Regierung in den kommenden fünf Jahren gelegt.
Unsere künftigen politischen Entscheidungen werden wir darauf ausrichten, die Wirtschaftskraft und die Wirtschaftsleistung des Landes zu erhalten bzw. zu erhöhen. Gleichzeitig müssen wir unsere Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft ausreichend finanzieren. Die erforderlichen Schritte gehen weit über die Möglichkeiten des Landes Sachsen-Anhalt hinaus. Krisenbewältigung braucht die Beteiligung der EU und des Bundes. Alle ökonomischen und finanziellen Maßnahmen müssen wir daher im Kontext einer gemeinsamen föderalen Politik entwickeln. So haben wir es im Koalitionsvertrag festgeschrieben und daran werden wir uns orientieren.
Wir haben in den kommenden fünf Jahren viel vor. In Anbetracht der Zeit möchte ich nur einige Beispiele nennen, die wir laut Koalitionsvertrag angehen wollen:
Ein Hauptziel der Koalitionspartner ist es, langfristig tragfähige Finanzen zu erreichen. Hierzu gehört die selbstverständliche Einhaltung der Schuldenbremse und die Weiterführung des Pensionsfonds. Der Ministerpräsident ist in seiner Rede bereits darauf eingegangen. Die Finanzausgleichsmasse für die Kommunen wird erhöht und für die Jahre 2022 und 2023 jeweils 1,735 Milliarden Euro betragen. Zudem haben sich die Koalitionspartner geeinigt, ein Corona-Sondervermögen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ins Leben zu rufen.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheits- und Pflegesystem ist. Die vom Land bereitgestellten pauschalen Fördermittel der vergangenen Legislatur werden mindestens in derselben Höhe fortgeführt.
Mit dem Kohleausstieg steht dem Süden unseres Bundeslandes ein enormer Strukturwandel bevor. Wir wollen die dafür bereitgestellten finanziellen Mittel des Bundes gezielt in die Entstehung nach- und werthaltiger Arbeitsplätze in dieser Region investieren. Wir erwarten, wie der Ministerpräsident, von der neuen Bundesregierung, dass sie zu den Vereinbarungen und dem notwendigen Zeithorizont steht. Zudem wollen wir Sachsen-Anhalt insgesamt weiter zum attraktiven Standort für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entwickeln. Sachsen-Anhalt soll das mittelstandsfreundlichste Bundesland werden.
Ein weiterer Fokus liegt auf dem flächendeckenden Ausbau einer digitalen Gigabitfestnetzinfrastruktur, der Aus- und Aufbau des Mobilfunknetzes zur Schließung von Funklöchern und die Vorbereitung auf zukünftige Standards wie zum Beispiel 5G. Ein Ziel, das auch der Ministerpräsident bereits vorgetragen hat.
Ein weiteres Kernanliegen ist die Bildung. Wir werden uns weiter um neue Lehrkräfte bemühen, in die baulichen und technischen Gegebenheiten investieren und die Aus-, Weiter- und Fortbildung unserer Lehrkräfte noch stärker an den schulischen Bedarfen ausrichten. Die Möglichkeit eines wohnortnahen Zugangs zu Schulen mit einer gymnasialen Oberstufe in allen Regionen des Landes ist ein wichtiges Anliegen der Koalitionspartner. Wir wollen, dass bis zum Ende des Jahres 2022 alle Schulen betriebsbereit an das Glasfasernetz angeschlossen werden. Wir werden, unter Einbeziehung der Vertreter der freien Schulen, ein neues Finanzierungsmodell für Schulen in freier Trägerschaft entwickeln, welches auskömmlich, rechtssicher, transparent und nachvollziehbar gestaltet wird.
Die Koalitionspartner stehen zudem zu einer auskömmlichen Grundfinanzierung für die Hochschulen, die in den jeweiligen Zielvereinbarungen mit dem Land festgelegt werden. Auch für die kommenden Jahre werden die Tariferhöhungen vollständig übernommen und ab 2022 ein Inflationsausgleich in Höhe von jährlich 1,5 Prozentpunkten eingeführt.
Um Nachhaltigkeit als Lebensqualität für alle Generationen zu etablieren, soll Ökologie und Ökonomie nicht konfrontativ, sondern als gemeinschaftliche Aufgabe aller Verantwortungsträger verstanden werden – wissenschaftsbasiert, technologieoffen, innovativ. In unserem Koalitionsvertrag haben wir sogar konkret festgeschrieben, dass wir den Ausstoß von Treibhausgasen in dieser Legislatur um 5,65 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren werden. Dazu habe ich bereits in der Landtagssitzung im September näher ausgeführt.
Wir verfolgen nachdrücklich den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Sachsen-Anhalt. Wir werden den in der Wasserstoffstrategie genannten Förderrahmen „nachhaltiger Wasserstoff“ beschleunigt ausgestalten. Bis dahin werden wir zur Beschleunigung des Markthochlaufs ausgewählte Anlagen zur Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Verwendung von grünem Wasserstoff fördern.
Vom Bund erwarten wir, dass die beiden Lückenschlüsse der beiden zentralen Infrastrukturprojekte A14 und A143 im Jahr 2025 weitgehend fertig sein werden. Für einen zukunftsfähigen Radverkehr sind neben einem möglichst lückenlosen Radverkehrsnetz für den Alltagsradverkehr auch gute touristische Routen erforderlich. Die Anbindung des ländlichen Raums soll so gezielt gestärkt werden. Darum werden wir jeweils ein Modellprojekt für ein 365-Euro-Ticket im ländlichen und im städtischen Raum starten.
Wir werden die bedarfsgerechte berufliche Bildung im Hinblick auf die überbetriebliche Ausbildung und die Ausbildungsstätten des Handwerks unterstützen, damit die duale Berufsausbildung auch langfristig in hoher Qualität abgesichert und weiterentwickelt wird. Erziehungs- und Gesundheitsberufe müssen den dualen Ausbildungsberufen gleichgestellt und vergütet werden. Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung sind zentrale Schritte für die Nachwuchs- und Fachkräftesicherung.
Die Justiz als dritte Gewalt in unserem Land ist der Garant für das Funktionieren unseres Rechtsstaates. Die Koalitionspartner sind sich einig, dass die Justiz insgesamt weiter gestärkt werden muss. Dies betrifft sowohl die Personalstärke wie auch die technische und bauliche Ausstattung der Justiz in Sachsen-Anhalt. Die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz werden wir unverzüglich angehen und spätestens bis zum Jahr 2025 vollenden.
Für die weitere Stärkung der inneren Sicherheit wollen wir binnen fünf Jahren mindestens 7.000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte in der Polizei Sachsen-Anhalt im aktiven Dienst haben.
Wir wollen eine nachhaltige und multifunktionale Landwirtschaft gewährleisten und die Leistungsfähigkeit unseres Agrar- und Ernährungssektors weiter ausbauen. Die Diskussion über ein Agrarstrukturgesetz des Landes muss erneut aufgenommen und zum Ende geführt werden. Unter Einbeziehung der Fachverbände und im offenen Dialog mit den Betroffenen ist es unser Anliegen, die Transparenz auf den Bodenmärkten zu erhöhen und Spekulationen entgegenzuwirken.
Die Überprüfung des Auftrages und der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf föderaler Ebene wird fortgesetzt.
Der mehrjährige Finanzrahmen der EU (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 stellt zusammen mit dem Konjunkturprogramm „NextGeneration EU“ eine noch nie dagewesene Menge an Fördermitteln in Höhe von 1,8 Billionen Euro zur Verfügung. Sachsen-Anhalt muss seinen Anteil an diesen Mitteln so weit wie möglich ausschöpfen, um einerseits die Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden und andererseits den Grundstein für eine weitere positive Entwicklung unseres Landes zu legen.
Grundsätzlich wollen wir Verwaltungsabläufe beschleunigen und vereinfachen. Wir wollen die Investitionsbank als zentrales Förderinstitut des Landes stärken. Wir wollen ein Investitionsprogramm „Tourismus“ für landesbedeutsame Maßnahmen einführen.
Die Koalitionspartner eint die Erwartung, dass die deutsche Wirtschaft gestärkt aus der Corona-Pandemie hervorgeht. Eine anhaltende Verbesserung der Einnahmesituation des Landes ist Voraussetzung, um schrittweise alle Politikziele dieses Koalitionsvertrages umsetzen zu können. Die Koalitionspartner haben sich deshalb darauf geeinigt, dass alle vereinbarten Vorhaben unter Haushaltsvorbehalt stehen. Von dem Haushaltsvorbehalt ausgenommen sind Ausgaben, die der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen dienen oder die Grundlage für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen waren.
Das ist eine verantwortungsvolle und vor allem nachhaltige Finanzpolitik sowohl für die heutige als auch für nachfolgende Generationen.
Die Corona-Pandemie stellt Gesellschaft, Wirtschaft und Politik seit mehr als einem Jahr vor ungeahnte Herausforderungen. Es ist eine Situation, die wir nicht kannten. Dafür kann es keine Patentrezepte geben. Durch große Anstrengungen der Beschäftigten und harte Auflagen für die Bevölkerung wurde in der Pandemie das Ziel erreicht, unser Gesundheitssystem funktionsfähig zu erhalten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf auch in Zukunft verlassen können. Wir stellen uns deshalb der Aufgabe, unser Gesundheitssystem und dabei insbesondere die Krankenhäuser und den öffentlichen Gesundheitsdienst leistungsfähig und pandemiefest aufzustellen.
Was jetzt folgt, auch wenn wir die Pandemie noch nicht überstanden haben, ist der Umgang mit den Folgen des Lockdowns, der die Wirtschaft hart getroffen hat. Der Umgang mit Corona und wie wir Sachsen-Anhalt aus dieser Krise führen, nimmt einen entscheidenden Teil im Koalitionsvertrag ein. Das Herunterfahren ganzer Wirtschaftsbereiche führte zu einer in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmaligen Herausforderung, die Politik und Wirtschaft gemeinsam lösen mussten und müssen. Der Bund hat mit umfangreichen Hilfsprogrammen und zahlreichen Maßnahmen wie der Kurzarbeit finanzielle Ausfälle auffangen können. Dadurch sind wir bisher relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen.
Die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Halle einen interessanten Aspekt aufgegriffen. In vielen Büchern und Aufsätzen, die sich mit uns Ostdeutschen allgemein beschäftigen, wird häufig vom „Ballast“ ihrer DDR-Biografie gesprochen. Für die, die die Rede nicht verfolgen konnten: Sie hat dabei die Definition des Dudens herangezogen. Demnach ist Ballast eine „schwere Last, die – in der Regel – als Fracht von geringem Wert zum Gewichtsausgleich mitgeführt wird“ oder als unnütze Last, überflüssige Bürde“ abgeworfen werden kann. Sie stellte heraus, dass die Wiedervereinigung für die Menschen in Westdeutschland nahezu nichts veränderte, für uns Ostdeutsche aber das Leben auf den Kopf stellte. Erst kürzlich wurde sie in der Welt als keine geborene, sondern angelernte Bundesdeutsche bezeichnet. Gerade vor ihrem ostdeutschen Hintergrund hat sie zugegeben, dass es die schwierigste Erfahrung in ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin gewesen sei, die Freiheitsrechte im Jahr 2020 aufgrund der Pandemie einzuschränken. Unser Ministerpräsident hat sich ähnlich geäußert. Er sagte: „Und wer die Unfreiheit selbst erlebt hat, wird die Freiheit für immer zu schätzen wissen.“
Heute ist die Situation eine andere. Doch die Freiheit ist wieder ein stückweit eingeschränkt. Noch haben wir nicht die Normalität, die wir vor der Pandemie hatten. Umso wichtiger ist es deshalb, eine Koalition geschmiedet zu haben, die für Stabilität und Sicherheit steht. Eine Koalition, die in den kommenden Jahren vielleicht dazu beiträgt, dass eine ostdeutsche Biografie nicht mehr als „Ballast“ bezeichnet wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bleiben Sie gesund!